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Mitgefühl und Verständnis

Mitgefühl und Verständnis

Sigrid Müller-Zenner ist Demenzbeauftragte im Vinzenzkrankenhaus. Feingefühl und Empathie sind für diese Arbeit besonders wichtig. Wie sie Zugang zu den Patientinnen
und Patienten findet, hat sie uns erzählt.

Sigrid Müller-Zenner, DemenzbeauftragteBereits 19 Jahre arbeitet Sigrid Müller-Zenner im Vinzenzkrankenhaus. Die Aufgabe als Demenzbeauftragte übernahm sie im Mai 2016 mit zwanzig Prozent ihres Stellenanteils. Damals hatte die Klinikleitung ein Projekt initiiert mit dem Titel „Das Vinzenzkrankenhaus auf dem Weg zum demenzsensiblen Krankenhaus“. Ein Krankenhausaufenthalt stellt für Menschen mit Demenz eine große Herausforderung dar. Desorientiertheit bezüglich Raum und Zeit oder die fehlende Fähigkeit, sich mit anderen Patientinnen und Patienten im Zimmer zu arrangieren, können zu Eskalationen und Problemen führen. Die Abläufe eines Akutkrankenhauses sind nicht auf die Bedürfnisse dieser Menschen ausgerichtet. Müller-Zenner erinnert sich an eine Patientin, die ständig herumlief: Zu Beginn „lief ich mehr oder weniger nur nebenher oder hinter ihr. Sie redete ständig oder summte Lieder. Anfangs konnte ich sie aufgrund der verschwommenen Sprache nicht verstehen und auch keine Melodie heraushören.“ Auf Gesprächsangebote oder Fragen habe die Patientin nicht reagiert, erinnert sich die Demenzbeauftragte. „Irgendwann glaubte ich, die Melodie eines mir bekannten französischen Liedes zu erkennen. Ich sprach sie in dieser Sprache an und erhielt eine Antwort. Ich versuchte mein ganzes, leider auch sehr eingeschränktes Repertoire an französischen Liedern anzustimmen und sie stimmte immer mit ein.“

Zusammen singen
Es entwickelte sich ein Dialog und es wurde möglich, die Patientin auf ihr Zimmer zu begleiten, wo beide noch eine Weile zusammen sangen oder sich unterhielten. „Prägend war für mich, wie über Musik ein Zugang zu ihr möglich war, wenn ich ihre Muttersprache benutzte – auch wenn sie schon Jahrzehnte in Deutschland lebte und laut den Angehörigen auch sehr gut die deutsche Sprache beherrschte.“ Zu den Aufgaben der Demenzbeauftragen gehört, Sitzwachen zu koordinieren und zu betreuen, bei der Betreuung von Menschen mit Demenz auf den Stationen insbesondere
bei herausforderndem Verhalten zu unterstützen sowie Ehrenamtliche im Umgang mit Menschen mit Demenz zu schulen und zu betreuen.

Sitzwachen: beruhigend und entlastend
Sitzwachen erfüllen im Vinzenzkrankenhaus durch ihre Anwesenheit eine Doppelfunktion. Menschen mit Demenz haben oft einen umgekehrten Tag-Nacht- Rhythmus: Sie sind in der Nacht wach und agil und schlafen am Tage. Sie fühlen sich allein, rufen, mobilisieren sich oder laufen umher. Der Betreuungsaufwand ist oftmals hoch und zeitintensiv. Die Sitzwachen beschäftigen sich in der Nacht mit diesen Menschen, passen auf, dass sie nicht stürzen, oder begleiten sie, wenn sie sich bewegen wollen. Sie sind manchmal auch einfach nur da und halten die Hand, was beruhigend wirkt. Dadurch entlasten sie die Pflegefachkräfte der Station. Neben der aktiven Arbeit mit den Patientinnen und Patienten ist Müller-Zenner engagiert in der Netzwerkarbeit mit Organisationen und Institutionen, die sich mit dem Thema  Menschen mit Demenz befassen. Sie organisiert Schulungen für Pflegende und ist Ansprechpartnerin bei Anfragen von Kolleginnen und Kollegen oder Angehörigen. „Der Kontaktaufbau zu Menschen mit Demenz braucht eine angepasste, wertschätzende und klare Kommunikation“, sagt Müller-Zenner. „Die Erinnerung schwindet mit dem Fortschreiten der Erkrankung, aber die Gefühle bleiben. Ich möchte diese Menschen dabei unterstützen, noch lange ihre Selbstständigkeit zu erhalten. Dafür ist es wichtig, sich einzulassen auf ihre Realität, Bedürfnisse und Gefühle. Dabei hilft es, möglichst viel über ihre Biografie zu wissen, um noch besser unterstützen zu können.“

Emotionale Arbeit
Mit den Betroffenen oder deren Angehörigen umzugehen weckt viele Emotionen. Es braucht Mitgefühl und Verständnis für die Angehörigen, wenn sie aus diversen Gründen verzweifelt sind. „Ich erlebe, dass die vielfältigen Unterstützungsangebote sowohl für die Angehörigen als auch für die Menschen mit Demenz oft unbekannt sind“, sagt Müller-Zenner. Bei ihr überwiegen ganz klar die positiven Gefühle bei dieser Arbeit. Man könne mit Demenzkranken ganz viel Spaß und Freude haben, die Menschen seien oft sehr humorvoll. „Ich gehe überwiegend mit einem guten und zufriedenen Gefühl nach Hause.“ Die Anzahl der Patientinnen und Patienten mit der Begleiterkrankung Demenz werde im Krankenhaus in den nächsten Jahren zunehmen: Menschen werden immer älter, und mit dem Alter steige das Risiko, an Demenz zu erkranken. Müller-Zenner: „Es ist wichtig, dass die Anliegen und Bedürfnisse der Menschen mit Demenz wahrgenommen werden, um ein hohes Versorgungsniveau auch dieser Menschen zu gewährleisten und einen reibungslosen Ablauf der Prozesse im Krankenhaus zu unterstützen.“